5.12.08

Die neue Langsamkeit

Habe ich nun endlich raus, warum ich in letzter Zeit staendig verletzt war?
War der Space Coast Marathon doch zu was gut?

Keinerlei Muskelkater oder sonstige Wehwehchen am Tag nach dem Marathon, das finde ich schon mal sehr positiv. Dafuer eine Stunde laufen am Abend und zwar so richtig schoen langsam und mit Genuss bei herrlich kuehlen, trockenem Wetter, Sonnenuntergang und kaum Wind in neuen Schuhen. Herrlich!
Recovery Runs, Regenerationslaeufe, werden solche Unternehmungen bei Pfitzinger genannt und haben nur eines im Sinn: Mir bei der Regeneration und Erholung von harten, schnellen, langen Trainingseinheiten zu helfen. Das Tempo ist dabei nicht nur nebensaechlich, es ist vollkommen egal.

Nun bin ich ja recht ehrgeizig und konnte es die ganze Zeit nicht ertragen, mich ueberhaupt laufend unter einer gewissen Pace zu bewegen. Ich wusste zwar, wo mein Puls bei solchen Laeufen sein sollte, habe auch versucht das einzuhalten, aber wenn ich dann zu langsam wurde habe ich ihn einfach ignoriert und doch wieder in die Hoehe getrieben. So wurden diese Regenerationlaeufe doch oft ganz schoen anstrengend und tw. auch frustrierend.

Am Tag nach dem Space Coast Marathon habe ich dann aber auch wieder mal gelesen, dass einer der Hauptunterschiede zwischen Elite- und "normalen" Laeufern darin besteht, dass es z.B. den Kenianern mal so absolut nichts ausmacht, im Schneckentempo vor sich hin zu joggen. Am naechsten Tag geht dann aber wieder die Post ab. Oder einen Lauf so langsam zu beginnen, dass sie fast ueber ihre eigenen Fuesse stolpern, dann aber nach und nach immer schneller und schneller werden und einen Endspurt hinlegen, dass man nur noch ihren Staub schlucken kann. "Normale" Laeufer hingegen kennen oft nur ein Tempo, dass sie nur ungern variieren. An leichten Tagen zu schnell, dafuer an harten Tagen nicht genug Kraft um richtig schnell zu sein und den gewuenschten Trainingseffekt zu erzielen.
Eigentlich war das keine wirkliche Neuigkeit fuer mich, aber am Tag nach einem missglueckten Trainingsmarathon bin ich fuer solche Botschaften wohl doch empfaenglicher als sonst.

Also diesmal nur nach Puls. Und zwar am Anfang an der unteren Grenzen, nach einer Viertelstunde etwas hoeher, dann im mittleren Bereich und die letzte Viertelstunde dann doch zur Belohnung ein bisschen flotter.
Es war gut. Es war entspannend. Es war genau der Regenerationslauf, den ich brauchte und diesmal hat er seinen Namen auch verdient.

Mittwoch kam die Belohnung fuer so viel Vernunft: Das Intervalltraining, das mir vor zwei Wochen so unerwartet schwer gefallen ist, war einfach klasse und ich habe die fuenf 600er alle locker unter 2:20 geschafft. Es hat Spass gemacht und ich hatte noch genug Luft und Kraft fuer sechs schnelle Kilometer, bei denen ich mich richtig austoben konnte.

Dienstag dann ein mittellanger Lauf mit Jon auf dem Rad. Auch hier wieder die neuen Prinzipien angewandt - obwohl ich das ja bei jedem langen Lauf versuche. Die ersten Meilen langsam und dann immer schneller. Da Jon dabei war, der sich zum gemeinen Sklaventreiber Trainer entwickelt hat, durfte ich nicht anhalten, sondern musste, ausser bei zwei Toilettenpaeuschen am Anfang, die ganze Zeit durchlaufen. Die zweite Haelfte war fast 5 Minuten schneller als die erste und obwohl es mir schon schwergefallen ist bin ich ein gutes Tempo gelaufen. Ich war selber ganz erstaunt wie schnell ich war, denn es kam mir selber ziemlich schneckenmaessig vor. Wahrscheinlich wohl wegen des Intervalltrainings am Vortag.

Nach dem Abendessen musste ich dann doch noch mal fuer eine halbe Stunde raus. Wieder schoen nach Puls und GAAAAANZ langsam. Hat Spass gemacht, war nicht anstrengend und genau die richtige aktive Erholung.

Auch gestern wieder ein langsamer Regenerationslauf am Abend. Mir ist aufgefallen, dass ich direkt nach dem Reiten, wenn ich schoen aufgewaermt aber nicht kaputt bin, am besten laufen kann. Und so war es auch wieder. Dabei kam es dann, dass ich endlich mal sogar schneller als gedacht laufen musste, um ueberhaupt an die untere Grenze meines Pulsbereichs zu gelangen. Das hatte ich auch schon lange nicht mehr. Diesmal hatte ich mir den Piepser angestellt der mich warnte, wenn mein Puls zu hoch oder zu niedrig war und so musste ich nicht staendig auf die Uhr schauen. Am Anfang war es noch etwas muehsam, aber dann lief es immer besser und ich liess meine Gedanken schweifen. Nach etwa der Haelfte der Strecke kam mir eine ueberwaeltigende Erkenntnis. Ich lief locker vor mich hin, eben mal schnell ein Stuendchen vor dem Abendessen. Sieben Meilen (11,26 km) ist ja nicht die Welt.
Aber Halt! Moment mal! Was ich da an einem schoenen windstillen Donnerstag Abend machte und dann auch noch Regenerationslauf nannte wuerden viele Menschen in ihrem ganzen Leben nicht laufen, ja nicht mal zu Fuss zuruecklegen. Manche nicht mal mit dem Rad, Kanu, Pferd oder sonstigen unmotorisierten Verkehrsmittel. Fuer mich war es ein kurzer Regenerationslauf, fuer andere waere die Strecke allein ein scheinbar unueberwindbares Hindernis! Selbst fuer manche/viele (?) Laeufer waere mein langsames Regenerationstempo ein ernsthafter Tempolauf oder sie kaemen von vorneherein nicht mit. Sicher, da gibt es unendlich viele, bei deren langsamen Tempo ICH nicht mitkaeme. Hailes Marathontempo kann ich noch nicht mal auf 400 m laufen. So schnell ist mein Pferd im langsamen Galopp.

Aber trotzdem. Die Erkenntnis, auch nicht wirklich neu, traf mich in dem Moment wie ein Schlag und ich wurde wieder daran erinnert, wie dankbar ich sein kann, dass mir so etwas moeglich ist. Dass ich, wenn auch relativ spaet, ein Talent in mir entdeckt habe. Dass ich einen Sport ausueben kann, der mir Spass macht, in dem ich gut bin, der gesund ist, Koerper und Seele gut tut. Dass ich laufen kann. Dafuer bin ich wirklich dankbar. Solche Erinnerungen und Denkanstoesse brauche ich manchmal, denn oft neige ich ja doch dazu, das alles als selbstverstaendlich anzusehen und mich zu aergern wenn es nicht so klappt wie ich will. Dabei ist das Laufen selber schon ein Geschenk. Schnelle Marathonzeiten sind da ein Tuepfelchen auf dem I, ein Sahnehaeubchen auf dem sowieso schon ausgesprochen leckerem Kuchen. Es ist ja das Laufen selbst, um das es geht.
In dieser Hochstimmung hatte ich nun keine Probleme mehr, meinen Lauf im gewuenschten Bereich zu beenden.

Besonders schoen war es auch noch, als mir Jon entgegen gelaufen kam. Wir trainieren nicht zusammen, da wir unterschiedliche Ziele haben, aber wir gruessten uns freudig ohne stehen zu bleiben. Das war so klasse. Nicht nur ich gehoere zu der oft belaechelten, immer noch kleinen Gruppe der Laeufer ("Sind die auf der Flucht, oder warum haben die es so eilig?" "Die machen das auch noch freiwillig!?"), auch der wichtigste Mensch in meinem Leben ist so ein Verrueckter. Obwohl wir innerhalb von Sekunden aneinander vorbei gelaufen waren fuehlte ich gerade in dem Moment eine besonders starke Verbundenheit und Zusammengehoerigkeit.
Wir haben nicht viele Moebel im Haus und kaufen uns keine teuren Kleider. Es gibt nur einen uralten Fernseher aus Jons College-Zeiten und den Gas-Grill haben wir von den Vorbesitzern geerbt. Unser Geld geben wir lieber aus fuer Reisen, Marathons, Laufschuhe, teure GPS-Geraete und Pferdefutter.
Kein Zweifel, so wollen wir es und das macht uns gluecklich!

6 Kommentare:

Gerd hat gesagt…

Schön das auch so eine schnelle Läuferin wie Du die langsamen Läufe genießen kann und schätzt.
Da ich nur langsam Laufe freut mich dieser Umstand natürlich um so mehr.
Ich mach sozusagen immer "Regenerationläufe"! ;-)
Schön finde ich die Geschichte mit Jon. Ich stelle mir die Szene echt witzig vor wenn man grüßend an sich vorbeiläuft!

Anonym hat gesagt…

Du scheinst rundum zufrieden, erkennst, dass du es manchmal vergisst, wie gut es dir geht, bist ehrgeizig und lernst aus deinen Fehlern, wenn das kein gutes Omen ist.

Habe es schon öfter gesagt: Viel Glück für deine nächsten Kämpfe !!

Alles wird gut !

Jasmin... hat gesagt…

Ach Kerstin - ein Eintrag, der mir die Tränen in die Augen treibt. Wie oft geht es mir auch so, dass man alles für selbstverständlich hinnimmt und sich gar nicht mehr an den eigentlich wichtigen Dingen im Leben erfreuen kann und alles schwarz/weiß sieht... Aber Du hast natürlich recht, all' die vielen Dinge, die für uns so selbstverständlich sind, sollten wir doch dankbar genießen - ob es nun das Laufen oder die vielen anderen schönen Dinge in unserem leben sind!
Vielen Dank für diesen Eintrag, der so wunderbar in diese Zeit des Jahres passt!

Anonym hat gesagt…

Den Eintrag hatte ich schon gelesen, hatte nur keine Zeit früher etwas zu Schreiben. Mir gefällt er auch sehr gut. Passt in die Zeit, klingt optimistisch, nachdenklich, einfach schön. Und selbst beim Lesen denke ich oft, was für ein Glück, dass Ihr den Sport beide liebt und gemeinsam ausführen könnt.

Kerstin hat gesagt…

DiRo, mir faellt es meist schon schwer, langsam zu laufen. Ich bin aber auch noch Anfaenger. Merke eben langsam, dass es doch gut tut und mir hilft.
Margitta, man nimmt vieles zu selbstverstaendlich hin. Aber andererseits will ich mich auch gar nicht mit anderen Leuten vergleichen, die langsamer, sondern lieber denen nacheifern, die schneller sind. Da verliert man die Relativitaet schon mal aus den Augen.
Jassi, schoen, dass dir mein Eintrag gefaellt. Dafuer schreibe ich ja.
Michi, wir sind beide Glueckskinder und so war es nur natuerlich, dass wir zusammen gefunden haben. 10000 km entfernt voneinander geboren und dann als Nachbarn in einem 14-Haeuser-Kaff in der Eifel gelandet. Beide nicht wirklich "freiwillig", sondern aus Jobgruenden dorthin. Das muss einfach Schicksal gewesen sein!

Martin hat gesagt…

Ich hatte mal, so nur zum Spaß 20km/h auf dem Laufband eingeschaltet und wollte nur mal kurz mitlaufen, nur so 200m...kein Chance!
Man kann es sich wirklich nicht vorstellen so schnell ao lange zu laufen.
Und ich gebe dir vollkommen Recht. Wie oft denkt man die langsamen Läufe sind doch viel zu langsam und läuft schneller, obwohl natürlich der Kopf weiß, dass es blöde ist. Aber auch ich arbeite daran udn gerade die Läufe mit Pia helfen da ungemein.
Ps: Ich spielte auch mal mit dem Gaedanken locker einen Marathon zu laufen, aber locker unter 4 Stunden immerhin. nachdem ich deinen Bericht gelesen habe, weiß ich wieder wie überheblich solche gdanken sind !