So weit, so lange und mit so einer Steigung bin ich noch nie gelaufen! 30 km in drei Stunden, 17 Minuten und 28 Sekunden, dazu eine Steigung von insgesamt 1268 Metern. Normalerweise schmeiße ich ja nicht so direkt mit Zahlen um mich, aber hier muss das jetzt mal sein.
Außerdem habe ich laut GPS 2200 Kalorien verbraucht auf dem Lauf. Kein Wunder, das merke ich auch!
Zuerst fing der Samstag an wie jeder Tag: Aufstehen um halb sechs Uhr morgens, Laufsachen anziehen, frühstücken und ein bisschen im Internet lesen zum Wachwerden. Doch statt direkt vor der Haustür loszulaufen, mussten wir heute erstmal zwei Stunden mit dem Auto fahren, denn der Pacifica Trail Run fand im Pedro Valley Park und McNee Ranch State Park auf der Halbinsel von San Francisco statt. In Monterey war es neblig und das Thermometer zeigte 42 Grad (also etwa 5°C) an. Also konnte ich doch meine neuen Shorts anziehen, denn es konnte ja mit Aufgehen der Sonne nur wärmer werden.
Im Inland fror es richtig und der Winter war noch allgegenwärtig, aber je weiter wir uns wieder der Küste von Pacifica näherten, desto wärmer wurde es und bei zum Laufen angenehmen 10°C war meine Kleiderwahl gerade richtig. Gerade zur richtigen Zeit kamen wir auch an, um uns für die 30 km umzumelden. Eigentlich hatten wir ja nur den 21km-Lauf geplant, aber weil Angel Island am letzten Wochenende so gut geklappt hat und als Test für den Napa Valley Marathon hatten wir uns kurzfristig entschlossen, uns doch an die 30 km zu wagen. Das war auch alles kein Problem und ging ganz unproblematisch. Problematisch war aber mal wieder die Toilettensituation. Es gab nämlich für die 250 Läufer viel zu wenige und die Schlange vor dem Damenklo war so lang, dass ich keine Chance hatte, vor dem Start noch mal gehen zu können. Also gut, dann eben kurz nach dem Start! Wir trafen Jim und Rachel aus Jons Klasse, mit denen wir gestern Abend noch eifrig Kohlenhydrate in Form eines leckeren Nudel-Thunfisch-Auflaufs geladen hatten, zogen die warmen Sachen aus und stellten uns zum Start auf. Wassergürtel und GPS durften natürlich auch nicht fehlen. Leider fand ich in der Hektik nur einen Handschuh, also diesmal ganz ohne. War aber nicht schlimm, weil mir schnell warm wurde und es insgesamt auch nicht mehr so bitterkalt war wie während der schrecklichen Kältewelle der letzten Zeit.
Rachel ging auf die neun und Jim auf die 21 km Strecke, aber wir starteten alle zusammen. Mit 250 Leuten und auf schmalen Wanderwegen nicht unbedingt die beste Idee der Veranstalter. Wir standen mal wieder zu weit hinten und erschwerend kam noch hinzu, dass ich nach hundert Metern gleich mal eine kurze Pause einlegte, da die Toiletten kurz hinter dem Start alle frei waren. Also hieß es erstmal wieder überholen, und zwar lange und viel. Die Wege eigneten sich dazu nämlich nicht besonders und den ersten Berg krochen wir im Schneckentempo hoch. Nach ein paar Minuten hatte ich Jon schon wieder eingeholt. Jim war schlauer und hatte gleich am Start einen Spurt eingelegt, um die meisten direkt zu überholen. Der erste Berg war schnell überwunden und auf der Geraden im Tal konnten wir auch wieder einige überholen. Der zweite Berg war schon höher, aber immer noch unproblematisch. Jedoch wieder schmale Wege! Jetzt verteilten sich die Läufer schon ein bisschen mehr, aber Jon und ich waren immer noch im Überhol-Modus, nur wurden wir nicht mehr so extrem gebremst. Wir liefen immer ein Stück weit hinter einer Gruppe her und überholten dann nach und nach. Optimal war das nicht, da jeder Überholvorgang Kraft kostet, aber wir wollten auch unser Tempo laufen. Die letzte größere Gruppe von sechs oder sieben Läufern überholten wir auf einmal mit einem kurzen Sprint, als sich endlich mal eine Gelegenheit ergab und der Weg etwas breiter wurde. Wir ernteten bewunderte Kommentare und darüber freute ich mich. War das ganze Training doch nicht umsonst!
Bald darauf war auch der zweite Berg erklommen und es ging bergab zurück zum Picknickplatz, wo es Getränke und Verpflegung gab. Durch die Trödelei am Anfang brauchten wir für diese ersten neun Kilometer fast eine Stunde. Jon teilte mir mit, dass er einen größeren Stein aus seinem Schuh entfernen musste und ich wollte eigentlich noch mal kurz aufs Klo, überlegte es mir dann aber im letzten Moment doch noch mal anders.
Ich hatte auf Angel Island gute Erfahrungen mit einem Becher Wassser bzw. Sportgetränk, zwei Melonenstückchen und einer kleinen Salzbrezel gemacht, daran hielt ich mich auch jetzt wieder und lief dann auch gleich weiter. Wie sich später herausstellte, war das Jons Verhängnis und der Grund, warum er den Lauf frühzeitig nach 21 km abbrechen musste.
Doch davon wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nichts, sondern dachte mir, dass er mich schon einholen würde und lief direkt weiter. Es ging bergauf. Es ging steil bergauf. Es ging sechs Kilometer lang steil hinauf. Ich überholte nur noch zwei oder drei andere Läufer, denn der Großteil hatte mit neun Kilometern seine Strecke schon hinter sich. Ich hatte nun den Weg einigermaßen für mich alleine und konnte mein Tempo laufen, ohne zu sehr mit anderen in die Quere zu kommen. Dieses Tempo war angesichts der Steigung und der Höhe des Berges nicht besonders hoch, aber immerhin konnte ich fast die ganze Zeit laufen. Nur an wenigen besonders steilen Stücken legte ich eine Gehpause ein.
Das Gute an den Pacific Coast Trail Runs ist, dass sie immer an besonders schönen Orten stattfinden und man bei all der Bergauflauferei mit den herrlichsten Ausblicken über das Land und Meer belohnt wird. Schon der erste Ausblick auf Pacifica, die Berge, den Strand und den Ozean war grandios und je höher ich kam, desto besser wurde die Aussicht. Da weiß man natürlich gleich wieder, warum man sich diese Schinderei antut.
Nach ein paar Kilometern wurde der Weg breiter und das war auch gut so, denn nun kamen mir die schnelleren Läufer entgegen, die bereits ganz oben auf dem Berg angekommen und schon wieder auf dem Rückweg waren. "Good job! Keep it up!", so wurde untereinander gegrüßt und auch das trug natürlich sehr zur Motivation bei, noch weiter den Berg hoch zu rennen. Jim ist viel schneller als wir anderen und kam ziemlich bald hinter den ersten den Berg herunter gestürmt. Rachel war schon lange im Ziel, aber wo war Jon? Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er mich bald einholen würde, doch immer noch war keine Spur von ihm zu sehen. Auch auf Stücken, an denen ich den Weg zurück eine Strecke weit überblicken konnte, tauchte er nicht auf. Seltsam! Doch ich erinnerte mich an unseren Trainingslauf auf der Old Coast Road vor Weihnachten, als ich auch zehn Minuten schneller gewesen war als er. Vielleicht war es ihm einfach zu steil, weil er nicht so viel trainiert hatte wie ich? Im Moment blieb mir nichts anderes übrig als weiter zu laufen. Auf dem Rückweg würde ich ihm zwangsläufig begegnen, wenn er mir entgegen kam.
Auch die längsten und steilsten sechs Kilometer haben mal ein Ende und so kam ich dem Gipfel immer näher. Irgendwann war es dann geschafft und was erwartete mich oben? Ein grandioser Rundumblick, eine Wahnsinnsaussicht und ein laminiertes Schild mit der Aufschrift "That was easy!" Ich musste lachen, blieb einen Moment stehen, genoss die Aussicht und die Gewissheit, dass es jetzt erstmal wieder bergab ging. Ich hatte die Hälfte geschafft!
Der Aufstieg war hart gewesen und so lief ich auch bergab erstmal recht langsam um mich ein bisschen zu erholen. Wieder kamen mir viele andere Läufer entgegen und wir sprachen uns gegenseitig Mut zu. "Great work!", "You too!", "You're almost there." Tat ganz gut, dass ich das jetzt zu den anderen sagen konnte...
An ungefähr der Stelle, an der ich Jim getroffen hatte, sah ich nun endlich auch meinen geliebten Gemahl den Berg hoch gehen. "Was ist los?", fragte ich ihn. "Ich habe unten eine Viertelstunde auf dich gewartet. Ich erzähl es dir später." Das tat mir unheimlich leid, denn ich hatte ihn nicht informiert, dass ich direkt weiter gelaufen war. So ein Mist! Jetzt war wegen mir seine ganze Zeit im Eimer. Ich gab ihm ein Energy-Weingummi aus meinem Wassergürtel und wir trennten uns wieder. Den ganzen Weg ins Tal machte ich mir Gedanken, was wohl passiert war und warum er so lange auf mich gewartet hatte. War unsere Tasche mit den warmen Sachen geklaut worden? Gab es Probleme mit dem Ummelden? Wieder konnte ich nichts tun als weiter zu laufen. Inzwischen hatte ich mich erholt und war wieder etwas schneller unterwegs. Immer noch kamen mir andere Läufer und irgendwann auch Wanderer entgegen, auch auf dem schmalen Weg, doch freundlicherweise machten mir alle Platz und gingen zur Seite, wenn sich mich kommen sahen. Ich wurde selber auch ein paar Mal überholt und machte Platz für die Schnelleren.
Unten im Tal angekommen erwarteten mich schon Jim und Rachel und machten ein paar Fotos. Sie wussten auch nicht, warum Jon auf mich gewartet hatte. Da sie aber den Fotoapparat hatten, war unsere Tasche wohl noch da und auch den Organisatoren musste ich nur zurufen, dass ich die 30 km laufe und ich wurde direkt zur Verpflegungsstation durchgewinkt. Das konnte es also auch nicht sein.
Ich nahm wieder meine erprobte Stärkung zu mir und machte mich auf die letzte Runde: Die ersten neun Kilometer in umgekehrter Reihenfolge. Also zuerst der etwas höhere Berg. Der war diesmal irgendwie höher als beim ersten Mal und diesmal hätte ich auch keine Kraft mehr für einen Überholsprint gehabt, aber langsam den Berg hoch laufen, das ging noch. Und obwohl ich jetzt schon eine Halbmarathon mit 893 Höhenmetern Steigung hinter mir hatte, kam ich irgendwann auch diesen Berg hoch, immer direkt hinter einem kleinen muskulösen Asiaten hinterher, den ich auf halber Strecke überholen ließ. Erst als es wieder bergab ging, wurde der Abstand etwas größer und auf der Geraden spürte ich die vielen Bergkilometer doch sehr deutlich in den Beinen. Der letzte Berg war zum Glück nicht besonders hoch. Nur noch drei Kilometer, nur noch zwei, nur noch 1,5. Mein treues GPS hielt mich auf dem Laufenden und dass das Ziel nahe war gab mir Kraft, auch den letzten Aufstieg zu bewältigen. Ich konnte sogar noch einmal überholen.
Bergab zogen mein Vorläufer und zwei andere, die irgendwie aus heiterem Himmel aufgetaucht waren, noch mal ordentlich an und auf den letzten 200 Metern gingen sie in einen ordentlichen Endspurt über, den ich nicht mehr mitmachen wollte. Ich war ja schon über drei Stunden unterwegs, was sollte ich mich da jetzt noch auf den letzten Metern abhetzen?
Jon, Jim und Rachel erwarteten mich schon im Ziel und dann hatte ich es geschafft! Hunger, Durst und müde! Aber glücklich und zufrieden mit mir. Jetzt weiß ich, dass ich den Marathon im März schaffen kann, denn der ist praktisch flach mit nur ein paar kleineren Hügeln am Anfang. Test bestanden!
Aber was war mit Jon? Während ich mich an der Verpflegungsstation mit Erdnussbutterbroten und Studentenfutter stärkte, wurde ich endlich aufgeklärt.
Jon hatte gar nicht mitbekommen, dass ich nach der ersten Runde sofort weiter gelaufen war, sondern angenommen, dass ich auf dem Klo saß. Normalerweise warten wir in Rennen nicht aufeinander - deswegen war ich ja auch direkt weiter - aber zufällig hatte gerade in dem Moment, in dem er mich dort vermutete, eine andere Frau große Schwierigkeiten mit ihrer Verdauung. Er konnte nichts sehen, sondern hörte nur, dass es jemandem ziemlich schlecht ging und hörte von anderen Frauen, die dort ein und aus gingen, dass wohl jemand große Probleme hatte und es ihr hoffentlich bald wieder besser gehen würde. Die ganze Zeit kam diese Frau nicht aus dem Häuschen heraus und er nahm an, dass es sich um mich handelte. Nach einer halben Ewigkeit, in der er natürlich total ausgekühlt war, kam er auf die Idee, eine der anderen Frauen zu bitten, nach dem Namen zu fragen. Ich war es jedenfalls nicht, hoffe aber auch, dass diejenige "Montezumas Rache" gut überstanden hat.
Mit steifen und kalten Muskeln und nach neun bereits gelaufenen Bergkilometern wieder auf die Strecke zu gehen ist kein Vergnügen, vor allem, weil es ja gleich steil anstieg. Jon konnte also nur ganz langsam laufen und hinzu kam, dass ihm nun schon auf dem schmalen Weg ständig Läufer entgegen kamen, die auf dem Rückweg waren. Er musste also immer wieder anhalten und Platz machen.
All das und die Tatsache, dass seine Muskeln nach dieser zweiten Runde zu sehr schmerzten bewirkte bei ihm den Entschluss, nach 21 km aufzuhören und die letzte Runde nicht mehr zu laufen. Das war sicher eine gute Entscheidung, aber glücklich war er darüber natürlich nicht. Wir kamen überein, uns beim nächsten Mal besser zu verständigen. Normalerweise hätte er auch gar nicht auf mich gewartet, aber da er annahm, dass ich in Schwierigkeiten steckte, wollte er mir beistehen. Eine wirklich unglückliche Verkettung von Umständen, die das alles bewirkt hatte.
Immerhin, 21 km sind eine tolle Leistung und es war mal wieder ein toller Lauf.
Marathon, wir kommen!
Hier noch ein schön bebilderter Bericht eines Läufers, der tatsächlich die 50 km geschafft hat.
Auf dem Rückweg wollten wir eigentlich im Pigeon Point Hostel übernachten, das einen Whirlpool direkt über den Klippen des Pazifik hat, aber wir hatten nicht reserviert und als wir nach einem stärkenden Mittagessen in einer Pizzeria endlich dort ankamen, war kein Bett mehr frei. Ich hatte dort auf meiner Wanderung auf dem California Coast Trail übernachtet und angenommen, dass im Winter keine Reservierung nötig sei, aber das war unter der Woche gewesen. Heute war alles voll und so fuhren wir auf dem Highway immer an der Küste entlang wieder nach Hause.